Verliebt in Ostpreußen, Kinderträume aus Reuschhagen.
Es war einmalvor langer, langer Zeit. In einem Land mit vielen dunklen Wäldern und vielen blauen Seen
lebte einst ein Mädchen mit den schönen Namen Erna. Das kleine Mädchen mit den unruhigen Augen hatte immer nur das Spielen im Kopf. Darum war es auch kein Wunder, dass Erna oftmals die Essenzeiten vergaß. Ihre Mutti Klara schickte dann immer Ernas ältere Schwester über den Hof, um die Träumerin zu suchen. Das war aber auch für Hildegard nicht so einfach, denn wenn Hildegard Erna in der Scheune suchte war das turbulente Mädchen im Stall und wenn Hildegard Erna im Stall suchte war der kleine Quirl schon wieder an der Dreschmaschine.
Ihr müsst wissen, die Eltern der beiden Mädchen hatten in dem Land, dass Ostpreußen hieß, einen Bauernhof mit 40 Morgen Land und Wald.
Nicht nur Heute, auch schon früher war der Sonntag für die Menschen im Landkreis Allenstein ein Feiertag. Vormittags besuchten sie die Kirche und danach zogen viele auf das Land. Auch an dem Bauernhof der beiden Mädchen promenierten die
Städter aus der nahen Stadt Wartenburg vorbei. Ein großes Namensschild verriet den Wanderern dann immer, dass sie gerade in Reuschhagen, am "Kewitz - Hof" vorbei kamen.
Kurze Nächte und lange Schultage!
Ernas Nächte waren oft sehr kurz. Um 04.30 Uhr wurde sie aus den schönsten Träumen gerissen. Dann musste sie aufstehen und gemeinsam mit ihrer drei Jahre älteren Schwester Hildegard zwei Kühe auf die Weide treiben. Zum Frühstücken blieb danach kaum noch Zeit. Bereits um 07.00 Uhr hieß es für die beiden Mädchen, Abmarsch zur Schule nach Reuschhagen. Die Schule war im gleichen Ort, aber bei Schnee und Regen konnten die 500 Meter schon mal sehr lang werden. An der Zwei-Klassenschule in Reuschhagen unterrichteten die Lehrer Otto Laduch und Ernst Frensch. Erna besuchte gerne die Schule. Am liebsten hatte sie den Lehrer Laduch, denn der ging oft mit seiner Klasse zum Baden an den Aritz - See. Wenn es um das Baden ging waren auch ihre Schulkameradinnen Ursula Dorsch und Luzia Gradowski immer außer Rand und Band. Obwohl Erna oft am bzw. im Aritz - See war, hatte sie doch nie das Schwimmen erlernt. Entweder war das Wasser immer zu kalt oder sie hatte Angst vor dem tiefen Nass.Im Winter war Erna oft krank, die Mandeln machten ihr ständig zu schaffen. Schließlich wurde es so schlimm, dass sie operiert werden musste.
Vielleicht wurde das Mädchen im Winter auch oft krank, weil sie ständig im Wald und auf dem Bauernhof umhertollte um die Vögel und wilden Tiere zu füttern. Am liebsten hatte Erna aber den Sommer. Dann gab es auf dem Hof aber auch mehr Arbeit. Mit 10 Jahren musste Erna Holzhacken und Hausarbeiten verrichten.
Die "Blöde" Kuh aus Patricken!
Eines Tages rief Mutti Klara und Papa Bruno die beiden Schwestern zu sich. Sie grübelten schon was sie diesmal wohl angestellt haben könnten. Dann erzählte der Papa aber etwas von einer Kuh, die aus dem benachbarten Patricken geholt werden sollte. Na und, dachten sich die Mädchen, was geht uns denn das Nest Patricken an, welches 17 Kilometer entfernt ist. Damit können wir nicht gemeint sein. Irrtum!
Schon am nächsten Tag fuhren Erna und Hildegard mit dem Zug in das für sie noch unbekannte Dorf, um die "blöde" Kuh abzuholen. Sie hatten gar nicht gewusst, dass sie dort noch eine Tante Namens Anna Senkowski hatten. Tante Anna, so sagten Mutti und Papa, gibt ihre Landwirtschaft auf. Die Kuh schenkt sie uns. Also wurden Stullenpakete geschmiert, Erna packte ihre Puppe ein und ab ging es. Wenn ihr glaubt Kühe treiben ist einfach, dann habt ihr euch aber kräftig geirrt. Erna und Hildegard waren vom Treiben der "blöden" Kuh fix und fertig. Aber auch das Rindvieh war geschafft und stellte sich unterwegs oft bockig an. Bei aller Schinderei hatten die Kinder aber noch mit dem Wetter Glück. Sie hatten im Herbst den schönsten Sonnenschein.
Aber dann hatten es doch alle geschafft und von Mutti gab es dafür eine schöne Belohnung. Erna und Hildegard bekamen eine Tüte mit Süßigkeiten, das Rindvieh eine saftige Portion Futter.
Eine handfeste Belohnung für Hildegard
Ernas Schwester Hildegard bekam später noch mal eine Belohnung. Allerdings in handfester Form. In den 40er Jahren hatte sie das Küchenfeuer oft mit Benzin entzündet. Einmal fielen aber einige Tropfen daneben und die Flamme schlug auf den Benzinkanister zurück. Hildegard warf den Kanister schreiend von sich und rief Papa, Papa. Glücklicherweise war der Papa gerade auf dem Hof. Als Mitglied in der örtlichen Feuerwehr hatte er den Brand auf dem Steinfußboden schnell gelöscht. Nicht auszudenken, wenn das Feuer um sich gegriffen hätte.
Das Haus der Familie Kewitz hatte vier Zimmer und eine Küche. In einem Zimmer wohnten Erna und Hildegard.
Bruno verpatzte Familienfahrt zur Kirche!
Ernas Papa hatte später noch mal einen Brand gelöscht. Allerdings seinen eigenen, nämlich
den Brand in seiner Kehle. Auf einer Feuerwehrversammlung, in geselliger Runde, schmeckte ihm das Bier so gut, dass er einen über den Durst zu sich genommen hatte.
Was allerdings ein folgenschwerer Fehler war, denn am Sonntag sollte Ernas Schwester Hildegard zur 1. heiligen Kommunion angenommen werden. Mit dem Pastor war auch alles abgesprochen. Die Familie stand rechtzeitig auf, machte sich schick und fein und wartete auf das Oberhaupt der Familie. Bruno sollte die Pferde einspannen und die Familie zur Kirche nach Wartenburg fahren. Er kam aber nicht. Mutti ging nachschauen. Der Papa lag noch wie ein Stein, schnarchend im Bett. Also blieb uns nur noch die Möglichkeit zu Fuß zur Kirche zu kommen.
Der Pastor war hinterher sehr böse auf Ernas Papa.
Ernas erster fester Freund!
Erna wuchs heran und wurde immer schöner und schöner. Die Jungs verdrehten
sich bereits den Kopf nach dem 16jährigen Mädchen vom Kewitz - Hof. Beim Tanz in Allenstein und Wartenburg ließ sie keine Tanzrunde aus. Kein Wunder, Erna konnte nur selten Ausgehen. Taschengeld, so wie Heute, nein so was schönes gab es nicht von Mutti und Papa. Auch für ihre heimlichen Kinderwünsche, für ein Fahrrad und goldene Ohrringe hatten ihre Eltern kein Geld.
Mit 16 Jahren traf sie Hans-Joachim Krüger, ihren ersten festen Freund. Sie bekam ihren Hans-Joachim aber nur selten zu sehen denn Hans-Joachim war mit seinen 16 Jahren schon Soldat.
In Ernas schönster Jugendzeit wütete in Europa ein fürchterlicher Krieg. Als Erna 17 war, kam der Krieg mit den russischen Soldaten auch nach Ostpreußen. Eine Flucht war unmöglich. Später zog die Familie in den Westen Deutschlands. Erna lebt jetzt in der kleinen Stadt Moringen, in Niedersachsen.
Auch Heute noch wird Erna in so mancher Nacht aus dem tiefsten Schlaf gerissen. Es sind die
Kriegserinnerungen, die in Ernas Träumen umherspuken. Panzer kommen, die Menschen
schreien und Kinder weinen. Wenn Erna dann erschöpft einschläft, träumt sie mit einem leichten Lächeln von der "Blöden" Kuh aus Patricken, vom tiefen Aritz - See oder von ihrem ersten Freund Hans-Joachim oder aber von ...
Erna Golas, geb. am 26. Februar 1928 in Reuschhagen.
Geschrieben in Moringen, im Juni 2001
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